I sarti di Bolzano nel passato
Das alte Schneiderhandwerk in Bozen
Saggio in occasione dell'European Tailor Congress, Bolzano,
13-16 maggio 2010
di Hannes Obermair
Kleidung zählt zum Grundbedarf menschlicher Existenz. Auch
für Bozens städtische Konsumenten des Mittelalters und
der Frühen Neuzeit war dies nicht anders. In der Stadt
konzentrierten sich vorwiegend sekundärer und tertiärer
Sektor, während die Urproduktion (Land- und Forstwirtschaft
bzw. Bergbau) den ländlichen Regionen vorbehalten blieb.
Hinzu kam, dass Bozen als größte Stadt im
südlichen Tirol dank ihrer Lage an der wichtigsten
alpenquerenden Handelsroute intensiv am deutsch-italienischen
Warenaustausch partizipierte. Schneider zählten daher auch in
Bozen zu den wichtigsten städtischen Anbietern: Sie
produzierten zum einen für die Bedarfsdeckung der privaten
Haushalte einer Stadt, die im 15. Jahrhundert eine geschätzte
Bevölkerungszahl von 3.000 bis 4.000 Einwohnern erreichte und
damit selbst schon ein beachtliches Kaufpotential aufwies. Des
weiteren wurden auch ländliche Verbraucher, etwa des
Überetschs, beliefert, zumal die ländliche
Selbstversorgung in jenen Bereichen an ihre Grenzen stieß,
die eine erhebliche Spezialisierung der Berufe und auch eine
irgendwie geartete Ausbildung voraussetzten. Eine dritte Richtung
kam durch die zahlreichenden Durch- und Handelsreisenden hinzu, die
auf das standortgebundene städtische Handwerk vor allem
während der regelmäßigen Marktzeiten
zurückgriffen.
Zwischen "Land" und "Stadt" bestanden zudem stark
ausgeprägte wirtschaftliche Austauschformen. Das Handwerk der
Schneider war ein verarbeitendes Gewerbe, das die Belieferung mit
textilen Rohstoffen erforderte. Wiewohl kaum durch Quellen belegt,
ist davon auszugehen, dass ein reges Verlagssystem das
ländliche Umfeld Bozens, die Höhen von Reggel- und
Guntschnaberg so wie das Etschtal und Überetsch, mit den
städtischen Handwerkern verband und auf diese Weise zwei
unterschiedliche Lebenswelten durch ökonomische Integration
verzahnte. Ähnliche Synergien galten wohl für das Gros
der städtischen Gewerbe, die auch in Bozen schon seit dem 13.
Jahrhundert eine gewisse Vielfalt aufzuweisen hatten. Neben den
Schneidern gab es Kürschner, Gürtler, Sattler, Schmiede
und Schlosser, Fassbinder, Bäcker und Müller, Schuster
und Gerber, Bader und Barbierer, Schreiner, Tischler, Spengler und
Maurer, um nur einen Ausschnitt der arbeitsteiligen
städtischen Ökonomie vorzuführen. Sie alle sorgten
durch ihre hohe Mobilität für eine gute Durchmischung der
städtischen Gesellschaft. Sehr viele Handwerker wanderten zu,
sie kamen aufgrund der habsburgischen Landesherrschaft seit dem 14.
Jahrhundert vorwiegend aus den österreichischen Gebieten, aber
auch die transalpinen schwäbischen Reichsstädte waren mit
einem hohen Anteil an Wirtschaftsmigranten in Bozen vertreten.
Bekannte Namen wie Zallinger, Mamming, Wagner-Sarnthein, Schlegel
oder Schwab stehen für diesen raumgeografischen und
wissenstechnischen Fachkräftetransfer.
Die Erwerbschancen für städtische Handwerker waren
also bestens gegeben, Absatzpotentiale in hervorragender Weise
vorhanden. Um diese optimal zu nutzen, formierten sich die
einzelnen Gewerbsgruppen auch in Bozen in korporativen Formen.
Diese sogenannten "Bruderschaften" waren zünftische, also
innungsmäßige Zusammenschlüsse, die auf die
Monopolisierung des eigenen Gewerbes, die geregelte Rekrutierung
des Nachwuchses und nicht zuletzt die Erhaltung des eigenen
Sozialprestiges abzielten. So ist eine Bruderschaft der Bozner
Binder (BBB) seit 1495 bezeugt und das Amt der Fleischhauer gar zu
1242 genannt! Der Verbandscharakter des "zünftigen" Handwerks
sicherte ihm Durchschlagskraft und entscheidende
Alleinstellungsmerkmale, die für die zunehmend
marktförmige Ökonomie der wachsenden Stadt von
großer Bedeutung waren.
Auch das Schneiderhandwerk beschritt ähnliche Wege. In
alteuropäischer und damit vorkonstitutioneller Zeit galt es
für Interessensgruppen, sich Vorrechte, die sogenannten
Privilegien und Freiheiten, von der höchsten Autorität in
Land und Stadt absichern zu lassen. Es war darum der
tirolisch-österreichische Landesfürst, Herzog Sigmund aus
dem Hause Habsburg, der am 19. November 1471 den Meistern des
schneider handtwercks zu Botzen die alten Rechte
bestätigte und überdies eine eigene Gewerbeordnung
erteilte. Dabei werden vier Hauptvoraussetzungen für die
Ausübung des Handwerks genannt:
1. jeder neu als Meister neu Aufzunehmende muss, nachdem er
erfolgreich seine Gesellenzeit hinter sich gebracht hatte, ein
Meisterstück als Probe seiner Tüchtigkeit zur
Prüfung vorlegen;
2. er hat sich in die schneider bruderschafft
einzuschreiben und dieser als aktives Mitglied beizutreten;
3. er ist zur Leistung militärischer und steuerlicher Lasten
gleich den übrigen Stadtbewohnern, den Bürgern und den
sog. Inwohnern, angehalten;
4. ist er ledig, muss er sich binnen Halbjahresfrist
verheiraten.
Das Paket an Vorschriften zielte also auf die soziale und
berufsmäßige Konsolidierung des Berufsstandes ab. Die
Bruderschaft, vermutlich mit Bänken und eigenem Altar an der
Bozner Marienpfarrkirche ausgestattet und damit kirchlich
eingefärbter Überbau materialistischer Betätigung,
gewährleistet den korporativen Zusammenhalt, der auch bei
religiösen Anlässen durch das Tragen einer Fahne und
eigene Kleidung öffentlich sichtbar gemacht wurde.
Frömmigkeit galt als Ausdruck
stadtbürgerlich-ökonomischer Gesinnung, deren
Darstellungsformen besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Eine
eigene Zunftlade verkörperte nicht umsonst die Aura der
alttestamentarischen Bundeslade: sie versinnbildlichte das Prestige
und die wirtschaftliche Potenz des Handwerks, seine Ehrbarkeit und
Reputation.
Die geforderte Verehelichung, möglichst mit einer Witwe
eines verflossenen Schneidermeisters, garantierte Kontinuität
gleichermaßen im Schneiderbetrieb, durch die sexuelle
Sicherung des Nachwuches, und im Sozialcharakter des Gewerbes, der
stets hoch gehaltenen "Ehrbarkeit". Gerade im städtischen
Handwerk konkretisierte sich die Idealvorstellung des "ganzen
Hauses", wonach Produktion und Reproduktion gleichsam unter einem
Dach erfolgten. Die Erfüllung von miltärischen
Aufgebotspflichten und die Leistung der geforderten Steuern
demonstrierten die "bürgerliche" Qualität und
Vollwertigkeit des Handwerks, das sich als Säule kommunalen
Selbstbewusstseins verstand. Als "Gemeinwohl" (gemainer
nutz) kaschiert, wird diese ideologische Komponente auch im
1471-er Privileg auf markante Weise hervorgestrichen.
Und nun einige Namen, die zwar nicht die Gesichter, aber
immerhin eine imaginäre Identität von Bozner Schneidern
der Vormoderne aufleuchten lassen. Im 15. Jahrhundert, einer
demografischen und ökonomischen Boomphase Bozens, begegnen uns
laut den Dokumenten der Zeit folgende Tuchschneider und -scherer:
Siegfried Payrl, Konrad Pönle, Christian Porz, ein Fritz von
der Wangergasse, Ulrich Gartner, Hans Glockner, Ulrich Grüner,
Nikolaus Halbsleben, Konrad Händler, Konrad
Müßiggang (der seinen Namen mit Humor nehmen musste),
Leonhard Rauscher, Lorenz Schenk, Ulrich Schittenberger, Bertold
Schüssel, Albert Zackerle, Konrad Zingel und Jakob Zumpf. Das
Männerbündische des Gewerbes, einem britischen
Gentlemen's Club ähnlich, tritt nur allzu deutlich hervor.
Frauen wurden in dieser Zeit erfolgreich in die häusliche
Ökonomie abgedrängt, in den Urkunden und Akten
bürgert sich für sie nicht zufällig der Begriff der
"Hausfrau" ein. Auf ihren vielfach unsichtbaren
Reproduktionsleistungen ruhte auch in Bozen das gute Funktionieren
des städtischen Gewerbes auf, und nur ganz sporadisch sind
auch weibliche Namen aus dem Umfeld des Schneiderhandwerks bezeugt.
So begegnet in einer Notiz des späten 14. Jahrhunderts eine
Hermanin die Sneyderin als Inhaberin eines Hauses der
Bozner Altstadt, welches ihr wohl als Witwengut von ihrem
verstorbenen Schneidersgatten verblieben war.
Das vorhin genannte, Epoche machende Sigmundianische Privileg
von 1471 - am Tag der Hl. Elisabeth von Thüringen, der
Patronin der Caritas ausgestellt - entfaltete seine Wirkung
über mehrere Jahrhunderte. Es wurde pünktlich zum
jeweiligen Amtsantritt von den späteren Landesfürsten in
seiner Rechts- und Symbolkraft bestätigt, so etwa von
König Maximilian I. im Jahr 1498 und von König Ferdinand
I. anno 1529. Sie erneuerten auch jeweils die Strafbestimmungen,
die die Verletzung der Schneidervorrechte hintanhalten sollten und
zu deren Überwachung die höchsten Amtsleute, der
Landrichter von Gries und Bozen sowie der Hauptmann an der Etsch
(der Vorläufer des Landeshauptmanns) "par ordre de Mufti"
aufgeboten wurden. Der "Staat" nahm die Zunft in seinen Schutz, da
er in ihr einen zentralen Baustein der ökonomischen Wohlfahrt
und des dynastischen Konsenses vorfand. Um Konkurrenzstrategien
vorzubeugen und stets prekäre Gleichgewichte nicht zu kippen,
wurden ähnliche Privilegien auch an andere Zünfte, etwa
die Binder oder die Schuhmacher, ausgegeben. Nur so ließen
sich die endemischen Streitigkeiten innerhalb der Zünfte und
unter ihnen einigermaßen beherrschen. Denn Zank, Hader und
Uneinigkeit gehörten zum festen Verhaltensrepertoire
zünftischer Identität, und es verwundert darum nicht im
Geringsten, wenn die große Gesellenordnung der Bozner
Schneider von 1656 die Vermeidung von Konflikten als
Entstehungshintergrund ausdrücklich nennt.
Mit dieser Satz- vnnd Ordnunng gelang Erzherzog
Ferdinand Karl ein großer Wurf. Er legte eine
Betriebshöchstzahl von 24 Meistern in der räumlich
beengten Stadt Bozen und von weiteren zwei Betrieben in
Zwölfmalgreien und einem in Gries fest. Auch die Betriebe von
Meisterwitwen, die mit Gesellen arbeiteten, gehörten zu den
lizenzierten Unternehmungen. Bürgermeister Hans Gumer und der
Stadtrat quittierten das Reglement, das auch ihren auf Kontrolle
und gesicherte Einkünfte gerichteten Interessen entsprach.
Dreijährige Lernzeiten im Gesellenstatus berechtigten zum
Karrierefortschritt und zur Erlangung des Meisterstatus, wobei
Lernbriefe und Meisterstück vorgelegt werden mussten. Nur
Meisterkinder waren - hier griff man auf analoge Innsbrucker
Bestimmungen zurück - vom Nachweis der Lernzeit ausgenommen,
da man ihnen quasi Stallgeruch und Sozialisationsvorsprünge
einräumte.
Dass alle Vereidigungen von Gesellen und Meistern vor der offenen Lade der Schneiderzunft zu erfolgen hatten (in ihr wurden auch die Privilegien verwahrt), verweist auf den symbolisch-magischen Kern genossenschaftlichen Wirtschaftens. Das "heilige" Wahrzeichen der Bruderschaft galt als Fetisch und vergegenständlichte das Charisma der Zunft, deren Erzeugnisse den Produzenten Wohlstand, den Konsumenten Wohlbefinden und Status verliehen.
[pubblicato in: "Der Schlern" 85, 2011, n. 1, pp. 32-36]
Bibliografia:
- Arnd Kluge: Die Zünfte, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007 (maßgebliche Monografie zum deutschen Sprachraum).
- Karl Theodor Hoeniger: Das älteste Bozner Ratsprotokoll vom Jahre 1469. In: Bozner Jahrbuch für Geschichte, Kultur und Kunst 1931/1934, Bozen: Vogelweider 1934, S. 7-111 (Rekonstruktion des alten Stadtplans von Bozen und der Verteilung der Gewerbetreibenden).
- Franz Huter: Vom Bozner Schneiderhandwerk. In: Erzeugung, Verkehr und Handel. Festschrift für Herbert Hassinger, hg. von Franz Huter u. Georg Zwanowetz. Tiroler Wirtschaftsstudien 33, Innsbruck: Wagner 1977, S. 157-174 (Fallstudie zu Bozens Schneiderzunft vom 15. bis 18. Jahrhundert).
- Hans Heiss: Schwäbische Zuwanderungen nach Brixen, Bozen und Trient vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 82, 1989, S. 39-63 (zu den Handwerkermigrationen nach Südtirol aus dem süddeutschen Raum).
- Hans Heiss: Bürgerlicher Aufstieg im 17. Jahrhundert. Der Tiroler Kaufmann David Wagner. In: Louis Carlen/Gabriel Imboden (Hg.): Unternehmergestalten des Alpenraums im 17. Jahrhundert, Brig 1992, S. 121-144 (aussagekräftiges Fallbeispiel).
- Hannes Obermair: Bozen Süd - Bolzano Nord. Schriftlichkeit und urkundliche Überlieferung der Stadt Bozen bis 1500, 2 Bde., Bozen: Stadt Bozen 2005-2008 (Quellensammlung mit den frühen Privilegien und Satzungen der Bozner Schneider).
- La storia di Bolzano in breve
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